Im Fall einer Arbeitsunfähigkeit greift in Deutschland das Entgeltfortzahlungsgesetz. Die Lohnfortzahlung greift ab dem ersten Tag und beträgt 100 % des Entgelts für einen Zeitraum von 6 Wochen pro Krankheit. Die Kosten werden allein vom Arbeitgeber getragen und liegen über den jährlichen Leistungsausgaben der Pflegeversicherung und signifikant höher als die Auszahlungen der Arbeitslosenversicherung. Eine zeitgemäße Weiterentwicklung der Entgeltfortzahlung durch Maßnahmen zur Missbrauchsbekämpfung, zur Kostensenkung und zur Bürokratieentlastung sind dringend nötig.
Missbrauch verhindern: Eine ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat einen hohen Beweiswert. Diesen gilt es zu erhalten. Bescheinigungen dürfen nur nach ärztlicher Anamnese ausgestellt werden. Die missbrauchsanfällige Ausstellung einer AU-Bescheinigung nach telefonischer Anamnese ist wieder einzugrenzen, da telefonische Befragungen die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit nicht in ausreichendem Maße zulassen. Eine Bescheinigung ohne realen Arzt-Patienten-Kontakt z.B. per Fragebogen über Online-Plattformen zu erhalten, darf nicht länger ermöglicht werden. Diese Praxis gefährdet die Glaubwürdigkeit der AU-Bescheinigung.
Kosten senken: Begrenzung der Entgeldfortzahlung auf sechs Wochen pro Kalenderjahr ist notwendig, um die Belastungen für Arbeitgeber planbarer zu machen. Zuschläge für besondere Arbeitsbelastungen wie Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit dürfen bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung nicht berücksichtigt werden. Möglichkeiten der Überprüfung durch den Medizinischen Dienst sind auszuweiten, um eine rasche Klärung zweifelhafter Fälle zu ermöglichen.
Bürokratie abbauen: Die Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist ein wichtiger Schritt. Das Verfahren muss aber praxistauglicher werden: durch automatische Übermittlung (Push-Verfahren) statt umständlicher Abfragen, durch die Abschaffung von Doppelstrukturen und die vollständige Beteiligung aller vertragsärztlichen Leistungserbringer.
Fazit: Die Unternehmen der Chemie- und Pharmaindustrie in Baden-Württemberg stehen für verantwortungsvolle Sozialpartnerschaft. Damit diese auch künftig tragfähig bleibt, ist eine Entlastung bei den stetig steigenden Entgeltfortzahlungskosten dringend erforderlich. Die vorgeschlagenen Maßnahmen sind geeignet, Missbrauch einzudämmen, Kosten zu begrenzen und Bürokratie abzubauen, um Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu sichern.
Hintergrund
Die Entgeltfortzahlung bei Arbeitsunfähigkeit ist mit rund 82 Mrd. Euro jährlich (IW Medien 2024) die teuerste, allein von Arbeitgebern finanzierte Sozialleistung. Ihre Kosten haben sich in den vergangenen 15 Jahren mehr als verdoppelt. Im europäischen Vergleich nimmt Deutschland eine Spitzenposition ein. Für die Chemie- und Pharmaindustrie Baden-Württembergs, die in einem internationalen Wettbewerbsumfeld agiert und gleichzeitig hohe Tarifstandards bietet, sind dauerhaft steigende Entgeltfortzahlungen im Krankheitsfall zusätzlich zu den steigenden Lohnnebenkosten ein gravierender Standortnachteil.